Wie alles begann
Die Geschichte des COMEDYexpress begann 2003 mit der Anfrage des Kulturforums Amriswil an Peter Wenk, ob er im Rahmen des Kleinkunsttags mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Bildungsstätte Sommeri ein Theaterstück inszenieren könnte. Der Thurgauer Theaterpädagoge & Regisseur liess sich nicht zweimal bitten und stellte mit Genehmigung der Institutionsleitung ein Ensemble mit Leuten zusammen, mit denen er bereits in der Vergangenheit kurze Bühnenwerke inszeniert hatte.
Im September 2003 fand dann die szenische Lesung „ENTSORGT“ mit Matthias Widmer als Sprecher auf dem «Huber-Areal» zwischen Amriswil und Sommeri statt. Damit war der Grundstein gelegt für eine Erfolgsgeschichte, von der kaum jemand zu träumen gewagt hätte.
Inklusives Ensemble
Nach den erfolgreichen Aufführungen im September 2003 wollte Peter Wenk mit diesem motivierten Ensemble weiterarbeiten. Mit dem Ziel, die Integration von Menschen mit Beeinträchtigung in die Gesellschaft zu fördern und ihnen gleichzeitig kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, entwarf er ein Konzept, das für Spielerinnen und Spieler der Bildungsstätte Sommeri zwecks Erarbeitung hochwertiger Eigenproduktionen regelmässige wöchentliche Theaterproben während der Arbeitszeit sowie Kompensation für Auftritte in der Freizeit vorsah. Nach einer erfolgreichen zweijährigen Versuchsphase wurde dieses Konzept von der Institutionsleitung bewilligt. Damit war der Weg frei für ein berufsbegleitendes regelmässiges Schauspiel-Training, was nicht nur das Gruppengefühl stärkte, sondern in hohem Mass auch die Ausdrucksvielfalt sowie die Auftritts- und Bühnenkompetenz unserer Schauspielerinnen und Schauspieler förderte.
Auch der Einbezug eines Profis ins Ensemble bewährte sich. Mit Matthias Widmer (2003), Olli Hauenstein (2004 -2015), Mario Müller (2016 – 2018) und Peter Wenk (ab 2018) standen Schauspieler auf der Bühne, die es einerseits verstanden, sich perfekt ins Ensemble zu integrieren, andererseits durch ihr Improvisationsgeschick und ihre Kreativität einen wesentlichen Beitrag zur schauspielerischen Entwicklung des ganzen Ensembles leisteten. Vor allem der renommierte Komiker & Clown Olli Hauenstein konnte dem Ensemble durch seine langjährige Mitarbeit wertvolle Impulse vermitteln. So entstanden fantasievolle Eigenproduktionen, die das Publikum immer wieder durch Originalität und tiefsinnigen Humor begeisterten. Mit der wachsenden Bekanntheit des COMEDYexpress wurden auch Organisation, PR und Marketing immer wichtiger. Mit der Kulturmanagerin & Theaterpädagogin Ambrosia Weisser (seit 2007 beim COMEDYexpress) konnte auch dieser Bereich professionalisiert werden.
Nachdem Peter Wenk 2018 vom Regiestuhl auf die Bühne gewechselt war, mussten die Rollen neu verteilt werden. Als ausgebildete Theaterpädagogin konnte Ambrosia Weisser in die Bresche springen und seither führen die beiden Theatermacher den COMEDYexpress als bewährtes Regie-Team.
Ein Glücksfall ist zweifellos das Engagement des virtuosen Pianisten Julian Weisser. Seit 2018 bereichert der sympathische Künstler die Produktionen des COMEDYexpress mit seiner bezaubernden Live-Musik.
Von der Theaterwerkstatt Sommeri zum COMEDYexpress
Es war uns von Beginn an ein Anliegen, unsere Schauspielerinnen und Schauspieler an wichtigen Entscheidungen teilhaben zu lassen. Nachdem wir die ersten zwei Produktionen als „Theaterwerkstatt Sommeri“ auf die Bühne gebracht hatten, suchten wir nach einem neuen Namen für unser Ensemble. Erich hatte den zündenden Einfall: COMEDYexpress! Auch gute Ideen für Stücktitel sind immer wieder gefragt. Der wunderbar passende Titel „VollgasCo.“ für unser Bürostück 2009 stammt von Flurin und „Das Beste zum Feste“ (2013) geht auf das Konto von Tamara.
Nicht nur der Name unseres Ensembles änderte sich, auch die Probelokalität musste im Laufe der Zeit den Gegebenheiten angepasst werden. Von 2003 bis 2008 probten wir im engen, stickigen, nicht isolierten und deshalb grossen Temperaturschwankungen ausgesetzten Estrich der Bildungsstätte Sommeri. 2008 wurde uns im nicht benutzten Untergeschoss des Ateliers eine Probebühne gebaut und wir konnten den ganzen Raum für unseren Fundus nutzen. Eine sehr komfortable Situation, die uns unsere Arbeit sehr erleichterte. Im Zuge des Umbaus der Bildungsstätte Sommeri musste 2020 eine neue Lösung gefunden werden. Wir sind froh, dass wir im nahe gelegenen Gasthaus Linde in Sommeri einen Probenraum mieten konnten.
Schauspiel
Das kontinuierliche Schauspiel-Training seit Bestehen des COMEDYexpress zeigt Wirkung. Waren unsere Spielerinnen und Spieler früher noch sehr auf die Unterstützung des Profis angewiesen, ist für sie eigenständiges Handeln auf der Bühne heute eine Selbstverständlichkeit. Kaum Probleme bieten ihnen mittlerweile auch das Spiel auf verschiedensten Bühnen und unter erschwerten Bedingungen, zwischen Produktionen zu switchen oder mitten in Probenarbeiten an einem neuen Stück für ein Gastspiel nochmals ein bereits abgespieltes Stück zu spielen. Diese unglaubliche Flexibilität erstaunt uns stets aufs Neue.
Immer wieder ist Geduld, Disziplin und Belastbarkeit gefragt, wenn wir bei den Proben manche Szenen mehrmals wiederholen müssen, wenn vor Aufführungen die Nerven flattern oder wenn es gilt, sich auf die eigene Rolle zu konzentrieren und hinter der Kulisse ruhig zu sein.
Sprache
Die Sprache ist bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung oft sehr eingeschränkt. Artikulationsschwierigkeiten oder das Unvermögen, sich adäquat auszudrücken, sind häufig grosse Hindernisse. Dieses Manko wird jedoch bei unseren Aufführungen mit einer grossen Portion Charme und unbändiger Spielfreude vergessen gemacht.
Trotzdem hat sich der Sprachgebrauch unserer Schauspielerinnen und Schauspieler im Laufe der Jahre stark verändert. So agierten sie im ersten Stück noch ausschliesslich pantomimisch zu Musik, während der Schauspieler Matthias Widmer als Zwischenspiel die Texte las. In der zweiten Produktion „Achtung Baustelle!“ übernahm der Komiker Olli Hauenstein den Sprechpart und das Ensemble reagierte auch sprachlich auf ihn.
Das erste abendfüllende Stück war „DIE SCHWARZWITZKLINIK“. Für diese schon sehr komplexe Produktion standen gleich drei Mitwirkende ohne Beeinträchtigung zur Verfügung, einerseits um den vorgegebenen Handlungsablauf zu gewährleisten, andererseits um die sprachlichen Mittel optimal auszuschöpfen. Ab 2009 („VollgasCo.“) wurde das Ensemble nur noch von einem Profi-Schauspieler begleitet.
Zwar spielt die Sprache nach wie vor keine zentrale Rolle in unseren Produktionen, doch mittlerweile sind einige unserer Ensemblemitglieder in der Lage, Szenen auch sprachlich selbstständig zu führen oder gar Texte auswendig zu lernen.
Stückentwicklung
Ein eigentliches Rollenbuch, wie wir es von herkömmlichen Theaterverlagen kennen, existiert bei uns nicht. Unser Skript besteht im Wesentlichen aus Szenenbeschreibungen, die allerdings im Laufe der Produktionen immer ausführlicher und differenzierter geworden sind. In den ersten Produktionen wurde der Spielverlauf lediglich in groben Zügen schriftlich festgehalten und die Spielerinnen und Spieler erhielten entsprechende Spielanweisungen.
Im Laufe der Jahre wurden die Abläufe komplexer, die Szenen zunehmend besser ausgearbeitet, ausgefeilter und mehr festgelegt. Die Stücke wurden abendfüllend und die Schauspielerinnen und Schauspieler bekamen oft mehrere Rollen, die Kostümwechsel mit sich brachten. Heute gestalten wir unsere Skripte detaillierter, trotzdem bleibt stets genügend Raum für Improvisation.
Obwohl wir als Leitungsteam die Stückidee einbringen und versuchen, unseren Schauspielerinnen und Schauspielern die Rollen auf den Leib zu schneidern, ist uns der Einbezug des gesamten Ensembles in diesem Prozess äusserst wichtig. Die Stücke gewinnen an Substanz und das Spiel wird authentischer, je mehr Ideen der Mitwirkenden einfliessen können.
Mit Peter Wenk, der bereits anfangs 80er Jahre als Theaterautor tätig war und Texte oder auch Romane für die Bühne umschrieb und inszenierte, hatte der COMEDYexpress einen erfahrenen Dramaturgen an Bord, der Ideen und Geistesblitze aufgriff und zu einem „roten Faden“ verwob. So sind unsere Stücke nicht revueartig aufgebaut, sondern wir versuchen, dem Publikum eine Geschichte zu erzählen. Seit 2016 ist auch Ambrosia Weisser in diesen Prozess involviert und auf langen Spaziergängen entwerfen die beiden Theatermacher die verrücktesten Geschichten.
Seit 2019 haben wir unser Repertoire um Masken- und Schattenspiel erweitert. Beide Darstellungsformen erfordern ein hohes Mass an Disziplin, Körperbeherrschung und technischem Knowhow. Unsere anfängliche Skepsis war völlig unbegründet, war doch unser ganzes Ensemble von Beginn an motiviert und begeistert von diesen neuen Spielformen. Gerade beim Maskenspiel sind die Stolpersteine mannigfaltig: eingeschränktes Sichtfeld, Auftritt meist ohne Brille, dunkle und zum Teil unbekannte Bühnen, besondere Spieltechnik. Doch dank der Offenheit und Flexibilität unseres Ensembles konnten wir das Maskenspiel als Gestaltungselement aufnehmen. Die Begeisterung des Publikums entschädigt uns immer wieder für all die Strapazen hinter der Maske.
Förderverein COMEDYexpress
Der COMEDYexpress ist mittlerweile zu einem Tourneetheater herangereift, das im Verlauf der Jahre nicht nur überregionale Bedeutung erlangt hat, sondern heute zu den erfolgreichsten nationalen Theatergruppen mit Schauspielerinnen und Schauspielern mit Beeinträchtigung zählt. Auftritte im heimischen Sommeri, im Kulturforum Amriswil oder im KKL Luzern gehören gleichermassen zu den Highlights wie die Einladungen an internationale Theaterfestivals in Zürich, Bern, Basel oder Friedrichshafen.
Doch mit dem Erfolg wuchs für das Leitungsteam auch die zeitliche Belastung, welche die organisatorischen und administrativen Aufgaben in Anspruch nahmen. Um den COMEDYexpress in der Bevölkerung breiter abzustützen, entschlossen sich Ambrosia Weisser und Peter Wenk 2018, einen Förderverein zu initiieren. Wir freuen uns sehr, dass sich mittlerweile über 40 Mitglieder gefunden haben, die unser Ensemble ideell und finanziell unterstützen und so einen wertvollen Beitrag leisten für inklusives Theaterschaffen in der Ostschweiz.
Infos: www.COMEDYexpress.ch/foerderverein/